SENECA

Oder: Über die Geburt von Erdbeben

Deutschland 2023 – 112 Minuten

Regie: Robert Schwentke

Mit: John Malkovich, Tom Xander, Geraldine Chaplin

 

Als Ziehvater und Vordenker des späteren Kaisers Nero ist Seneca maßgeblich am Aufstieg des selbstgefälligen jungen Tyrannen beteiligt. Der Philosoph, bekannt für seine großen Reden über Verzicht und Milde, gehört selbst zu den reichsten Männern im alten Rom. Doch als eines Tages der Schüler seines Lehrers überdrüssig wird, befehligt Nero Seneca, sich selbst zu töten. Ist dieser bereit für einen ehrenhaften Freitod oder bleibt noch etwas Zeit für ein paar philosophische Ausschweifungen und spitzzüngige Lektionen?

 

 

 

Nach seinem packenden Weltkriegsdrama „Der Hauptmann“ widmet sich Regisseur Robert Schwentke in dieser tiefschwarzen Satire den letzten Tagen des römischen Philosophen Seneca und den Anfängen von Kaiser Neros despotischem Reich. Ein wahnwitziger Ritt in eine Welt maßloser Macht, in der Opportunismus und Eitelkeit den moralischen Kompass bestimmen. Neben Neuentdeckung Tom Xander als Herrscher Nero zählen Geraldine Chaplin, Julian Sands, Mary-Louise Parker, Louis Hofmann, Lilith Stangenberg, Samuel Finzi und Alexander Fehling zum hochkarätigen Ensemble – angeführt von einem fulminanten Hauptdarsteller: John Malkovich als SENECA ist eine Wucht!

Als Erzieher des römischen Kaisers Nero ist der wortgewandte Philosoph Seneca (1-65) zu einem der wohlhabendsten Männer des Kaiserreiches aufgestiegen. Doch als sich dessen Herrschaft in Tyrannei verwandelt, beginnt auch Senecas Stern zu verblassen. Er wird der Verschwörung gegen Nero angeklagt und zum Selbstmord gezwungen. In einem wilden, postmodernen Bilderschwall entfacht die absurde Politkomödie eine allegorische Auseinandersetzung mit den ideologischen Sackgassen einer korrumpierten Gesellschaft. Eine Parabel über Macht und Machtmissbrauch, die auf die Gegenwart zielt.

 

Dem Schauspiel-Exzentriker John Malkovich wurde das Drehbuch eigens auf den Leib geschrieben, „Being Seneca“ sozusagen. Prompt gibt er dem Affen reichlich Zucker bei dieser schillernden Figur. Durchgeknallt, korrupt, selbstverliebt ist dieser Philosoph. Last not least ein moralischer Gernegroß, der Armut predigt und zu den reichsten Bonzen von Rom gehört. Nach dem Vorspann auf steinernem Mosaik, beginnt das Spektakel mit einem absurden Auftritt à la „Monty Python“. Ein Kommentator hält dazu die Einführung. „Seneca war Senator. Und galt als klügster Mann von Rom. Er hatte auch den Job, Nero in allen Angelegenheit zu unterrichten. Und wurde zum Lebensberater unseres massenmordenden Präsidenten auf Lebenszeit. Eine schlechte Idee. Die Seneca das Leben kosten sollte.“ Irgendwo im Nirgendwo doziert Seneca auf einer surrealen Theaterbühne über rhetorische Tricks mit passenden Metaphern. Reden wird der Titelheld noch reichlich, fast pausenlos bis hin zu seinen letzten Atemzügen. An Theaterhaftigkeit herrscht gleichfalls kein Mangel bei diesem surrealen Lehrstück über das Fressen und die Moral. Sogar der Klimawandel gerät zum antiken Thema.

 

Mit wenigen Pinselstrichen werden die Eckpfeiler der Geschichte des berühmten Philosophen skizziert. Wie er zum Tyrannenflüsterer bei Nero wird. Wie er beim Despoten in Ungnade fällt. Hätte er doch besser auf den Rat der Mutter gehört und immer nur „Ja, Herr Präsident“ gesagt! Nun verlangt der launische Nero den Selbstmord seines Lehrers, ein ultrabrutaler Gladiator wird das gnadenlos überwachen. Bis es so weit kommt, erfährt man noch allerlei von des Philosophen Doppelleben: Für reiche Römer inszeniert Seneca albtraumhaftes Theater der absurden Art, welches zum Schrecken es exklusiven Publikums rigoros mit dem Herrscher abrechnet.

„Buñuels Dinnerparty, die niemals endet!“, verspricht Autor und Regisseur Robert Schwentke und hält ein Füllhorn verrückter Ideen bereit. Komik kommt gleichfalls kaum zu kurz. Sei es mit des Tyrannen „Mum“- und Herzchen-Tätowierung auf dem Oberarm. Oder dem Kommentar einer gelangweilten Zuschauerin während dem Theaterstück: „Nicht schon wieder etwas Politisches!“.

 

Verquastes Kunst-Kammerspiel oder vergnügliches Philosophie-Seminar über Macht, Korruption und Klimawandel? Reine Geschmacksache! Ebenso wie die Beurteilung des John Malkovich: Schauspielerische Meisterleistung? Oder derart übertriebene Selbstbeweihräucherung, dass es zur unfreiwilligen Parodie seiner Gockelhaftigkeit gerät? Um es mit Seneca selbst zu sagen: „War das nichts weiter als eine mittelmäßige Nachmittags-Vorstellung im Stadttheater?“. Diese Philosophie-Revue dürfte polarisieren, das ist schließlich die Kunst der Kunst. Unbestritten bleibt allemal: Risikobereites Kino der rigorosen Art findet sich selten genug auf hiesigen Leinwänden. Zumal mit einem internationalen Star-Ensemble, das von Geraldine Chaplin über Julian Sands und Mary-Louise Parker bis zu Louis Hofmann, Lilith Stangenberg und Alexander Fehling reicht. Last not least gibt es für das Publikum noch nachdenklichen Mehrwert mit auf den Weg, Etwa mit der Frage: „Ist es für eine Lampe schlimmer, angezündet oder ausgelöscht zu werden.“.

 

Dieter Oßwald / programmkino.de