KARL-MARKUS GAUSS
SCHLENDERN IST MEIN METIER
Dokumentarfilm
Österreich 2025 – 80 Minuten
Regie: Johannes Holzhausen
Der Regisseur Johannes Holzhausen porträtiert humorvoll und unkonventionell den renommierten österreichischen Schriftsteller Karl-Markus Gauß. Begleitet von der Kamera öffnet Gauß die Türen seines Salzburger Zuhauses und begibt sich auf Reisen an die Ränder Europas, wo die Wunden der Geschichte noch spürbar sind. (dimdimfilm.com)
JOHANNES HOLZHAUSEN
Gauß: Wie ich ihn sehe
In meinem abendfüllenden Dokumentarfilm „Schlendern ist mein Metier“ widme ich mich dem faszinierenden Leben und Werk von Karl-Markus Gauß, einem für mein Denken und meine politische Haltung wichtigsten Schriftsteller unserer Zeit.
Sein Buch „Im Wald der Metropolen“ kannte ich, bevor ich Karl-Markus persönlich kennenlernen durfte. Dieses Werk hat mich tief beeindruckt, beim Lesen überkam mich ein Wechselbad der Gefühle, von neugierig über schmunzelnd hin zu Trauer und Schwermut – und wieder zurück. Wieviel Leben sich in seinen Beobachtungen, die auch ganz klein, scheinbar unbedeutend sein können, findet! Alltägliches Geschehen – ein Fahrradfahrer, der auf der Straße vorbeizieht; ein Grimassenschneider, der glaubt unbeobachtet zu sein; eine unbekannte Frau in Bulgarien, die sich bei ihm für eine kleine Hilfe bedankt – können der Auslöser sein für einen Sprung zu anderen Orten, zu vergangenen Zeiten, zu unbekannten Geschichten. Alle seine Bücher verbindet, dass sie Reisen durch Zeit und Raum sind. Gauß schreibt keine Romane, aber sein Werk in seinen vielen Verästelungen erreicht die Dichte, den Reflexionsgrad, die handwerkliche Qualität von großer Literatur.
Und es erzählt auf eine Weise, die ich auch als Filmemacher schätze. Denn im Kopf verdichtet sich das Gelesene zu etwas Größerem, das Nicht-Gesagte ist so wichtig wie das Gesagte, die Geschichte entsteht sozusagen zwischen den Worten. Ähnlich sehe ich auch die Stärke des Dokumentarfilmes, der nicht erklärt, sondern das Beobachtete in der Montage, im Zusammenstellen und in der Reihung einzelner Szenen erzählt, sozusagen zwischen den Bildern. Auch ich ziele auf den „gesuchten Zufall“, wie Gauß es nennt. Ich bin wie er der Meinung, dass der Zufall ein Geschenk, ein kreativer Gewinn für die Arbeit ist, der aber nur kommt, wenn man ihn aktiv sucht, auf ihn vorbereitet ist und letztlich auch zulässt.
Persönlich kennengelernt habe ich Karl-Markus Jahre später in Salzburg, als ich ihm meinen letzten Kinofilm „The Royal Train“ zeigte. Seine Rezension zu dem Film war das Beste, das über den Film geschrieben wurde. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich zum einen eine Freundschaft und langsam der Wunsch, ein gemeinsames Projekt zu finden. Vielleicht eine gemeinsame Reise rund ums Schwarze Meer? Oder eine Reise nach Albanien, zu den Nachfahren von Österreicherinnen, die in den 30er Jahren verführerisch schönen Südländern in ihr Heimatland gefolgt sind? Oder, ganz anders, dem Geheimnis des kreativen Prozesses auf die Schliche zu kommen? Was immer wir geplant hatten, Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der bald danach erfolgte Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine hat außerdem alle Pläne für eine Reise nach Odessa verunmöglicht.
Und da war dann Gauß‘ Herzinfarkt, der alles noch einmal über den Haufen geworfen hat. So entstand eher unfreiwillig eine Langzeitbeobachtung über vier Jahre. Dies hat den Film sicher verändert, er wurde ernster, beschäftigte sich mehr mit existenziellen Fragen, wie „was bleibt von uns, wenn wir einmal nicht mehr sind?“
Gauß ist eine literarische Werkstatt auf Hochtouren und sein Werkzeug lernen wir im Laufe des Films kennen. Erlebtes wird zu Literarischem. Begegnungen, Erfahrungen, Wissen und Erfindungsgeist formen sich zu Buchstaben, Worten, Sätzen, Texten. Es fasziniert mich immer wieder, wie Kunst entsteht und unser Leben bereichert, ja, erträglich macht. Welche Kraft geht von Literatur aus? Wird sie an Menschen, die längst vergangen sind, erinnern? An die untergegangenen Reiche, in denen sie einst lebten? Gerade in Osteuropa schmerzen die Wunden der Geschichte besonders und gerade dorthin begibt sich Gauß am liebsten. Dort, aber auch in der österreichischen Provinz, trifft er im Laufe des Films bekannte und unbekannte, aber immer sein Denken anregende Persönlichkeiten und stellt ihnen und sich Fragen, die uns alle angehen. Er ist ein „Menschenfischer“. In seinem ruhigen Zugehen auf seine Gesprächspartner können sich diese entfalten und im Gespräch gleichsam aufblühen. Der Austausch zwischen Gauß und seinen Protagonisten bereichert seine Bücher und damit auch unseren Film. Am Ende begegnet er einem aufrechten alten Mann, der mit den Worten ringt. Das Unaussprechliche entzieht sich der Sprache. Goethe und Buchenwald, diese Gegensätze lassen sich nicht mehr vereinen.
Das alte Haus der Familie Gauß liegt an einem versteckten Seitenarm des sogenannten Almkanals, der durch Salzburg fließt. Das eisige Wasser aus den Bergen plätschert am idyllischen Garten vorbei und fließt in die Salzach, die Salzach in die Donau, die Donau schließlich in das Schwarze Meer. Wir folgen dieser stetigen Bewegung des Wassers, über die Gauß so mäandernd wie tiefgründig spricht und so verbindet das Naheliegende und gleichzeitig Abstrakte – das fließende Wasser – die Themen und Orte des Filmes.
Meist waren wir am Set zu dritt – Regie, Kamera, Ton. Manchmal auch nur zu zweit, da habe ich den Ton übernommen. Gauß war geduldig mit uns, er hat die Strapazen des Drehs stoisch hingenommen. Oft genug hatte ich ihm versprochen, dies wäre der letzte Dreh, um dann doch noch einmal zurück zu kommen und weiter zu arbeiten. Ohne meinen alten Freund Joerg Burger hätte ich dies alles nicht machen können. Er ist als Kameramann wie ein Fels immer zum Film und zu mir gestanden. Wenn ich ihn gerufen habe, dann ist er gekommen. Ihm bin ich für seine Treue und nicht endend wollende Unterstützung dankbar. Das gilt auch für Maresi Gauß, die große Liebe von Karl-Markus seit Studententagen und nun, seit ihrer Pensionierung, ständige Begleiterin auf seinen Reisen. Die Vertrautheit untereinander und gegenseitige Wertschätzung ist, so hoffe ich, immer spürbar.
Mit Karl-Markus Gauß zu reisen, hat mich dazu gebracht, über die Bedeutung des „Schlenderns“ nachzudenken – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Der Film ist eine Hommage an die Kunst des langsamen Reisens und ich hoffe, dass er die Menschen inspiriert, unsere Welt in ihrer historischen Tiefe bewusster wahrzunehmen.
Johannes Holzhausen